Unterrichtsprojekt von Bernhard Rißmann

Projektverlauf

Jede Unterrichtseinheit umfasst 90 Minuten.

"Smooche de la Rooche II" an der Friedensschule Trossingen

Neugierde, Entdeckerdrang sowie Experimentier- und Bewegungsfreude von Grundschülerinnen und -schüler sind ideale Voraussetzungen, um die Klasse für Neues zu begeistern. Der Zugang zur Komposition "Smooche de la Roche II" von Annesley Black erfolgte durchgehend praxisorientiert und durch die Kinder selbst als musikalisch Handelnde – zumeist in spielerischer Form.

Dadurch bewegten sich die Kinder auf eine ihnen vertraute Art und Weise im Bereich der Klangwelt Neuer Musik. Das Musikprojekt mit den Kindern einer 3. Grundschulklasse erstreckte sich über drei Monate und wurde mit einem öffentlichen Konzert abgeschlossen. 

Einführung in die Arbeit mit dem Stück

Vorwiegend freie Rhythmen ohne melodische und harmonische Bindung sowie wiederholte Stille-Momente lassen sich als wichtige Strukturelemente der Komposition von Annesley Black nennen. Seilspringen als Bewegung und zugleich Klangerzeugung bildet ein zentrales Element, aus dem zum Teil unterschiedliche Klänge (Hüpfen, Atmen, Schwingen usw.) und auch Rhythmus abgeleitet werden.

Diese Verbindung von Bewegung, Klang und Rhythmus in "Smooche de la Rooche II" bietet viele Anknüpfungspunkte für die Arbeit mit Kindern. Das Aufgreifen weiterer sportlicher Aktionen, z.B. mit Tennisbällen und das Erproben verschiedener Sprungarten lag nahe. Freie Rhythmen, Klang und Stille bildeten den roten Faden für die Arbeit mit den Kindern, aus der am Ende eine eigene Komposition erwuchs.

In Blacks Werk bieten sich noch andere Elemente zur Nachgestaltung an, die in diesem Projekt umgesetzt wurden.

Freie Instrumentenwahl, Einsatz von ungewöhnlichen Klangerzeugern:
Schülerinnen und Schüler suchen zuhause nach Alltagsgegenständen, wie Teller, Töpfe, Gläser, Besteck, Blechwannen etc., die sie z.B. beim Improvisieren einer klingenden Gespensterstunde frei einsetzen können.

Reagieren auf andere Klänge, genaues Hinhören:
Diese beiden Fähigkeiten sind Grundbestandteil aller musikalischen Aktionen in der entstandenen Schülerkomposition. So gibt es immer wieder Situationen, in denen die Einsätze von bestimmten Aktionen der Mitspielerinnen und Mitspieler oder von einer Dirigentin bzw. einem Dirigenten abhängig sind. (Bei "Smooche de la Rooche II" spielt Interaktion vor allem im Zusammenhang mit dem elektronischen Zuspiel ein große Rolle.)

Aufbrechen der Konzertsituation:
Die Schülerinnen und Schüler sitzen im Kreis, sie spielen außerhalb und innerhalb des Kreises, das Publikum gruppiert sich um dieses Geschehen herum.

Theatrale Elemente:
Die Kinder bewegen sich wie Ameisen oder Bienen im Raum und erzeugen dabei auch entsprechende vokale Klänge. Im Kontrast dazu erstarren sie z.B. während der musikalischen "Gespensterstunde". Auch das Weitergeben der Klänge und die Abfolge der Stücke basieren häufig auf einer choreografischen Gestaltung. [s. auch Video "Klänge weitergeben"]

Wettstreit:
In der Erarbeitungsphase können die Kinder ihre speziellen Talente einbringen: Wer kann am schnellsten Seilspringen oder das Seil rhythmisch exakt aufschlagen, wer kann Tennisbälle schnell aufschlagen und sicher wieder fangen?

Erwartungsbruch:
Der Anblick der vielen unkonventionellen Klangerzeuger und der vereinzelten traditionellen Instrumente (hier: Blockflöten, Geige, Gitarre, Horn) weckt beim Publikum Erwartungen, die nicht unbedingt erfüllt werden, in jedem Fall aber Spannung erzeugt. Wer ein klassisches Schülerkonzert erwartet, wird (vielleicht) überrascht werden.

Alle diese aufgeführten Elemente prädestinieren "Smooche de la Rooche II" für die Grundschule, da die Kinder in sehr freier und fantasievoller Weise den Umgang mit Klängen und Bewegung erkunden können.

Der grobe Projektverlauf lässt sich folgendermaßen skizzieren:

Die Aktivitäten der ersten Projektstunden sind mehr oder weniger losgelöst von den Elementen des Referenzwerkes. Hören, Agieren, Bewegen als Grundübungen für jegliche Auseinandersetzung mit neuer Musik bilden den Ausgangspunkt. Hören heißt vor allem sich öffnen, neugierig sein auf Neues und Ungewohntes. Agieren heißt initiativ werden, mutig etwas ergreifen aufgrund des Gehörten.

In den folgenden Unterrichtseinheiten dienen zusätzlich die grundlegenden musikalischen Elemente aus "Smooche de la Rooche II", nicht zuletzt das Seilspringen, als Ausgangspunkte und Assoziationsrahmen für weitere, gemeinsam zu entwickelnde musikalische Aktionen, die auch inhaltlich eingeordnet und wie zuvor mit Titeln versehen werden.

Bewegen heißt in diesem Fall immer, durch Bewegen etwas hörbar machen. Am Ende der Projektzeit stand eine eigene Komposition, angeregt durch die Elemente aus dem Werk von Annesley Black. Es ist eine Art Stundenbuch, das verschiedene Klang- und Bewegungselemente vereint. Der Weg dorthin ist der Programmfolge und den Unterrichtseinheiten zu entnehmen.

Über einen Zeitraum von vier Monaten arbeitete die Klasse einmal pro Woche für jeweils eine Doppelstunde (insgesamt 12x) an dem Projekt. Zur Verfügung stand ein großer Musikraum mit reichlich Bewegungsmöglichkeit. Ein großzügiger Raum (Klassenzimmer oder Gymnastikraum, bzw. Turnhalle) wäre also ideal, wenn man plant, das Projekt an einer anderen Schule zu reproduzieren. 

Rückblick und Auswertung

Das Projekt war für alle Beteiligten ein großer Gewinn: Die Schülerinnen und Schüler konnten sich selbst und einander durch die offene und kreative Arbeitsweise von einer ganz anderen Seite als im Regelunterricht kennenlernen. Dies führte zu einer deutlichen Festigung der Klassengemeinschaft.

Ganz entscheidend ist bei einem Konzert an einer Grundschule das Publikum, das meist aus den Eltern, Verwandten, Freundinnen und Freunden, Mitschülerinnen und Mitschülern besteht. Sind die Zuhörerenden in einer wohlwollenden Hörbereitschaft und lassen sich auf Ungewohntes ein, dann entstehen spannungsvolle Stille-Momente, die in ihnen Resonanz erklingen lassen.

Diese Interaktion war in unserem Konzert in gelungener Weise gegeben. Für die Klassenlehrerin – sie war bei sämtlichen Stunden aktiv dabei – war das Projekt insofern ein Gewinn, als sie bisher verborgene Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler entdecken konnte. Außerdem fühlte sie sich inspiriert, in Zukunft ähnliche Projekte ohne fremde Hilfe anzugehen.

Die Kinder konnten erleben, dass man auch mit einfachen Alltagsgegenständen Musik erfinden kann und dass diese Musik trotzdem spannend und anspruchsvoll sein kann.

Mit Schülerinnen und Schülern einer 3. Klasse zu improvisieren, bedeutet, sehr stark Rücksicht auf das jeweilige Instrument und das technische Können der Spielerin/des Spielers zu nehmen. Wird das Instrument erst anfänglich beherrscht, kann man auch mit ein oder zwei Tönen musikalisch etwas frei gestalten.

Bei einer "Nachtmusik" genügen schon wenige Töne, wenn sie sehr leise und beruhigend gespielt werden. Beschreibt man zuerst eindeutige Stimmungsbilder, tauchen die Kinder wie von selbst in eine Gestaltung ein.

Hierbei ist es wichtig, dass Stimmungen (Nacht, Morgen, Kirche, Hochzeit) immer aus der entsprechenden Bewegung geschildert werden:

  • Nacht: kaum Bewegung, nur Ruhe
  • Morgen: heitere kurze Bewegungen
  • Kirche: Hier kann z.B. jeder Schüler mit der linken Hand auf den Knöpfen eines Akkordeons eine Harmoniefolge spielen, die feierlichen Orgelklängen ähnlich ist.

Gefördert von: