Unterrichtsprojekt von Silke Egeler-Wittmann

1. Hören

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2. Erarbeiten

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3. Gestalten

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Erster Kontakt

Stellen Sie sich vor, Sie sollen Ihren Schülerinnen und Schülern ein Stück neuer Musik im Unterricht vermitteln, welches so jung ist, dass es zu Komponist und Werk außer einem kryptisch anmutenden Text in einem CD-Booklet kaum eine veröffentlichte Erläuterung gibt.

Machen Sie das Naheliegendste: Hören Sie!
Lassen Sie die Musik in ihrer Fremdheit auf sich wirken, verschließen Sie sich nicht gegenüber Ihren Widerständen, nutzen sie diese als Chance, denn warum sollte es Ihren Schülerinnen und Schülern beim ersten Hören anders als Ihnen gehen? Hören Sie sich das Stück immer wieder an, auch in Ausschnitten, vielleicht nur den Anfang, nur den Schluss, zappen sie ungeniert hin und her, machen Sie sich das Stück zu einem Vertrauten, Bekannten, den Sie wiedererkennen, wenn Sie ihm begegnen.

Hören Sie assoziativ: Woran erinnert Sie das Stück?
An andere Musik, an eine Situation, eine konkrete Erinnerung? Welche Bilder entstehen vor Ihrem inneren Auge? Welche Gefühle löst die Musik in Ihnen aus?

Notieren Sie Ihre Eindrücke: in einem Hör-Protokoll, das stenografisch spontane Eindrücke und konkrete musikalische Vorgänge beinhalten kann. Oder fertigen Sie eine strukturell-formale Beschreibung eines kürzeren Hörausschnitts an. Setzen Sie Ihre ersten Höreindrücke in eine musikalische Grafik oder ein Bild um.

Nutzen Sie Ihr musikalisches Handwerkszeug zu einer analytischen oder interpretatorischen Betrachtung nicht zu früh.
 Das, was Sie beim unmittelbar ersten Kontakt mit der Musik erleben und erfahren, wird möglicherweise bei Ihren SchülerInnen ähnlich sein und bietet ein fruchtbares Feld der Auseinandersetzung mit dem Unbekannten.

Natürlich gibt es in der Didaktik der Neuen Musik noch viele andere Möglichkeiten als den hörenden Einstieg um sich einem Stück zu nähern: über ein Thema, über eine Epoche, über den Komponisten, über eine musikalische Gattung, über Form und Material, etc.
Möglicherweise bieten sich auch diese Zugänge für "screen" von Markus Hechtle an; es kann hierbei keinen Absolutheitsanspruch für einen einzigen richtigen Weg geben. Der hier aufgezeigte Weg wurde gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern des Leininger-Gymnasiums ausprobiert und hat sich als sehr gewinnbringend erwiesen.

Haben Sie den Mut, Ihren eigenen Weg zu gehen.
Genau hierin liegt der Reiz: Sie gehen nicht die ausgetrampelten Wege der immer gleichen Stücke, die im Zusammenhang mit der Vermittlung «Neuer Musik» angeboten werden, sondern können wie Ihre SchülerInnen Unbekanntes, Neues entdecken…

Silke Egeler-Wittmann


Markus Hechtle: Gedanken zum Schulprojekt in Grünstadt

…Musikunterricht als Erfahrung von Freiheit: Gibt es mehr zu wünschen?

Als mich der Deutsche Musikrat anrief und fragte, ob ich für ein musikpädagogisches Projekt an einer Schule zur Verfügung stünde, sagte ich sofort zu, noch ohne über genauere Informationen zu verfügen. Ich erinnerte mich an die eigene Schulzeit zurück, die ich zwar, gelinde gesagt, nicht gerade mochte, die aber einmal doch interessant zu werden begann, als nämlich so genannte Projekttage eingeführt wurden, die für kurze Zeit die Möglichkeit eröffneten, Schule ganz anders zu erleben und zu definieren. An diese positiven Erfahrungen wollte ich mich halten und nun, zwanzig Jahre später, die Chance nutzen, in die Schule zurück zu kehren, wenn auch mit einem etwas mulmigen Gefühl.

Ich selbst war nur am Rande in die Vorbereitungen eingebunden, ein Team um die Lehrerin Silke Egeler-Wittmann erarbeitete ein Konzept, in dem sich die Schülerinnen und Schüler ganz praktisch mit meiner Musik "screen" auseinandersetzen sollten. Und so ließ ich mich überraschen, von dem, was da wohl auf die Schülerinnen und Schüler und mich zukommen würde. Die Überraschung war groß.

Ich traf auf eine Klasse, die meiner Musik offen und kritisch gegenüber trat und die keinerlei Berührungsängste zu haben schien. Die Übungen und Anleitungen, die Frau Egeler-Wittmann entwickelt hatte, wurden wie selbstverständlich angenommen, fast war ich es, der sich ein wenig verklemmt inmitten der Schülerinnen und Schüler bewegte.
Die Lehrerin erklärte die Musik nicht. Auch das hat mir von Anfang an gefallen. Alles war darauf ausgerichtet, Musik als Raum zu erleben, in dem zunächst alles erwünscht, nichts tabuisiert ist. Ein Freiraum, der nicht durch Erklärungen und Ableitungen zugeschüttet werden darf. Jede Legitimation, jede Determination nimmt etwas von den Möglichkeiten, die dem Erfinden und Empfinden von Musik innewohnen und führt zu einem verkrampften, verängstigten oder ablehnenden Verhältnis zur zeitgenössischen Musik.

Wir sprachen nie über Tonhöhen. Erst im Nachhinein ist mir das so richtig zu Bewusstsein gekommen. Vielmehr lag der Schwerpunkt auf gestischen Erfindungen, zunächst in Anlehnung an Momente aus "screen", später dann in eigenwüchsigen Formen. Alles, was die Schülerinnen und Schüler erfanden und anboten war erlaubt, auch wenn es sich dabei um ungelenke Nachahmungen handelte. Aber das spielt keine Rolle. Die entscheidenden Erfahrungen können doch nur dort gemacht werden, wo Erfahrungen überhaupt erst zugelassen werden. Die neue Musik hat oft den Fehler begangen, sich durch einen immensen Überbau zu schützen, zu legitimieren und zu verteidigen. Das schreckt viele Interessierte zu Recht ab. Gerade in Schulen dürfen solche Mechanismen nicht zum Zuge kommen, weil die erste Begegnung oft entscheidend ist, weil das dort erlebte Kunstverständnis prägend für das ganze Leben sein kann. Die Kunst ist frei. Und wenn es gelingt, die Schüler etwas von dieser Freiheit spüren zu lassen, dann ist bereits vieles gewonnen.

Stand der erste Vormittag ganz im Zeichen von Annäherung und Lockerung, war der zweite auf den Höhepunkt des Projekts konzentriert. Die Schülerinnen und Schüler sollten, aufgeteilt in drei Gruppen, in knapp zwei Stunden ein eigenes Musikstück komponieren, es in irgendeiner Form notieren und schließlich konzertant präsentieren. Wir boten unsere Hilfe an, besuchten die Gruppen, doch Hilfe war nicht erwünscht. Die Schülerinnen und Schüler arbeiteten mit einer mich frappierenden Selbstständigkeit und Disziplin. Natürlich enthielten die Kompositionen Elemente des zuvor Erprobten, darüber hinaus aber auch eigene Ideen und Konzepte. Die akustischen "Ursuppen", die da gekocht wurden, erschienen mir wie Nährlösungen, wie undomestizierte Gedankensammlungen. Ich war beeindruckt. Im Nachgespräch betonten die Schülerinnen und Schüler, dass ihnen das selbstständige Komponieren am besten gefallen habe, dass sie sich dort am wohlsten gefühlt hätten.

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