Bevor die Komposition "Versatzstücke" für Klavier und Zuspielband von Orm Finnendahl angehört wird, sammeln die Schülerinnen und Schüler ihre Gedanken zum Titel der Komposition in einer Mind-Map (Arbeitsblatt 1).
Nach einer Stillarbeitsphase von ca. 10 Min. werden die Ergebnisse dieses Brainstormings in einer gemeinsamen großen Mind-Map an der Tafel zusammengefasst und strukturiert. Als Beispiel für eine mögliche Strukturierung der Beiträge kann die Mind-Map der Klasse 11aM des Hochrhein-Gymnasiums Waldshut dienen (Arbeitsblatt 1E). Durch die gedankliche Auseinandersetzung mit dem Titel "Versatzstücke" wird die Aufmerksamkeit bereits auf bestimmte Strukturmerkmale des Stücks gelenkt, die auch in den folgenden Übungen beleuchtet werden sollen.
Als Ausgangsmaterial für erste improvisatorische Übungen zum Thema "Versatzstücke" dienen einfache musikalische Prozesse (Arbeitsblatt 2), die strukturalen Charakter haben – d.h., dass sie keine Grundtöne oder metrische Schwerpunkte herausbilden – und von Schülerinnen und Schülern in der Gruppe dargestellt werden können: eine absteigende chromatische Tonleiter und ein Decrescendo.
Die sorgfältige Probe dieser elementaren musikalischen Prozesse vermittelt den Schülerinnen und Schülern einen Eindruck davon, welcher Ernst und welche Präzision bei den folgenden Konzeptstücken von ihnen erwartet wird.
Bei den Konzeptstücken, deren Material die absteigende chromatische Tonleiter bzw. das Decrescendo sind (Arbeitsblatt 3), erhalten die Schülerinnen und Schüler die Freiheit, den jeweiligen Prozess, den sie darstellen, durch beliebig viele Pausen zu unterbrechen.
Die bisher einheitlichen und sehr unspektakulären Phänomene splittern sich dadurch in heterophone Klanggebilde auf, die aus verschiedensten Versatzstücken des gleichen Ausgangsmaterials bestehen. Die kreative Arbeit mit diesen Konzeptstücken, die im Ausprobieren verschiedener Versionen besteht, öffnet den Blick für das expressive Potenzial, das den Versatzstücktechniken innewohnt.
Als Ergänzung zu den improvisierten Konzeptstücken entstehen Versatz-Stücke für kleine Besetzungen, denen sehr strenge Regeln zugrunde liegen (Arbeitsblatt 4).
Anders als bei den Konzeptstücken dürfen hier jedoch die einzelnen Versatzstücke, in die die elementaren musikalischen Prozesse zerlegt werden, in ihrer Reihenfolge vertauscht werden. Die einfache Bastelanleitung führt dazu, dass trotzdem jeder Ton nur einmal verwendet wird. Die Schülerinnen und Schüler erhalten hier die Möglichkeit, mit Ordnungsprinzipien zu experimentieren und zu erfahren, wie sich Strenge im kompositorischen Denken auswirken kann.
Von dem Arbeitsblatt 4 liegen zwei Versionen (Arbeitsbleit 4_1a und Arbeitsblatt 4_1b) vor, die für unterschiedliches Instrumentarium geeignet sind. Version a hat den Tonumfang f bis f’’ und ist z.B. für Glockenspiele, Tasteninstrumente, Trompeten und Klarinetten geeignet. Version b umfasst die Töne c’ bis c’’’ und ist z.B. für Violinen und Querflöten geeignet. Für beide Versionen liegen auch B-Stimmen vor (Arbeitsblatt4_2a und Arbeitsbatt 4_2b). Bitte entweder Version a oder Version b verwenden!
Bei der Aufführung der entstandenen Stücke sollte darauf geachtet werden, dass die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Partituren genau und würdevoll behandeln.
Besonders wichtig ist, dass die Pausen eingehalten werden. Erst wenn die einzelnen Stücke präzise wiedergegeben werden können, ist an eine Kombination oder Weiterentwicklung der Stücke zu denken.
Wenn die Schülerinnen und Schüler Interesse an den Kompositionsexperimenten entwickeln, können auch mehrstimmige Kompositionen für größere Besetzungen in Angriff genommen werden.
Ob die Schülerinnen und Schüler dazu animiert werden, ganz eigenständige Kompositionen zum Thema "Versatzstücke" anzufertigen, muss aus der jeweiligen Unterrichtssituation heraus entschieden werden.
Genaue Vorüberlegungen (Arbeitsblatt 6) schulen das kompositorische Denken, die Festlegung auf ein bestimmtes Material und auf bestimmte Arbeitstechniken verhindern Beliebigkeit.
Abweichungen von den selbstauferlegten Einschränkungen sollten nur mit stichhaltiger Begründung zugelassen werden.
Zusätzlich zu den Schülerkompositionen sind hier auch fächerübergreifende Projekte denkbar, z.B. experimentelle Lyrik im Deutschunterricht oder Versatzstück-Arbeiten im Kunstunterricht.
Erst nach den eigenen gestalterischen Versuchen erfolgt die Konfrontation mit Orm Finnendahls Komposition "Versatzstücke" für Klavier und Zuspielband.
Beim ersten Hören werden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, frei-assoziative Skizzen zu den einzelnen Sätzen des Stücks anzufertigen (Arbeitsblatt 7). Während das Stück läuft, sagt die Lehrerin oder der Lehrer an, wann ein neuer Satz beginnt. Da die Satzfolge einer sehr klaren Dramaturgie folgt, sollte der erste Hörgang nicht unterbrochen werden, obwohl das Stück insgesamt 23 Minuten und 22 Sekunden dauert. Die Skizzenblätter werden aufgehängt und sind für alle Schülerinnen und Schüler einsehbar. Ein verbaler Austausch über die Höreindrücke erfolgt ebenfalls.
Das doppelseitige Arbeitsblatt (Arbeitsblatt 8_1 und Arbeitsblatt 8_2) kann entweder von der Lehrerin oder dem Lehrer referiert oder von den Schülerinnen und Schülern selbstständig studiert werden.
Es erklärt einige technische Aspekte der "Versatzstücke" von Orm Finnendahl und gibt Hinweise auf die Dramaturgie der Satzfolge sowie auf eine mögliche Interpretation des Stücks. Die Auseinandersetzung mit den Kompositionsprinzipien ist Voraussetzung für die folgende Partiturleseübung.
Die Partitur des dritten Satzes der "Versatzstücke" von Orm Finnendahl hat auf einer Seite Platz. Die Grafik im oberen Teil der Partitur repräsentiert das Zuspielband.
Interessant ist die Gestaltung der Notensysteme mit dem doppelt oktavierenden Violinschlüssel und den vergrößerten Abständen zwischen den Linien, auf denen Töne im Abstand einer großen Terz liegen.
Die Schülerinnen und Schüler hören den dritten Satz und verfolgen dabei die Grafik (Arbeitsblatt 9).
Wir hatten am Hochrhein-Gymnasium Waldshut das Glück, dass Orm Finnendahl uns besucht hat und seine Live-Elektronik vorgeführt hat.
Einzelne Schülerinnen und Schüler durften die Computerprogramme ausprobieren und selbstproduzierte Klänge live-elektronisch verfremden lassen. Falls die Möglichkeit besteht, Herr Finnendahl einzuladen, dann sollte dies unbedingt organisiert werden. Möglicherweise gibt es auch bereits vereinzelt Schulen, deren technische und personelle Ausstattung den Schülerinnen und Schülern ein selbstständiges Experimentieren mit Live-Elektronik erlaubt.
Die Abschlussdiskussion sollte sowohl die Erfahrungen, die beim Improvisieren und Komponieren gewonnen wurden, reflektieren, als auch einen Bezug zwischen den "Versatzstücken" von Orm Finnendahl und der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler herstellen.
Sollte es im Verlauf der Unterrichtseinheit gelungen sein, Akzeptanz gegenüber der Musik Orm Finnendahls oder sogar Begeisterung zu erzeugen, so kann die Situation dazu genutzt werden, einige grundsätzliche ästhetische Fragestellungen anzureißen, die den Anspruch und das Selbstverständnis Neuer Musik betreffen (Arbeitsblatt 10).