Jay Schwartz | Music for Five Instruments

Jay Schwartz

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von Philipp Schäffler

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Music for Five Instruments

aus: Porträt-CD Jay Schwartz der Edition Zeitgenössische Musik


Eine Werkeinführung von Bernd Leukert

Eine elementare Wirkung geht von diesem Stück aus, und was formal darin vorgeht, erklärt diese Wirkung nur zum Teil. "Music for Five Stringed Instruments" ist einfach und klar gebaut: In 102 Takten wird das Klangfeld der fünf Streichinstrumente entwickelt, ein Kontrabasssolo von 26 Takten bereitet den großen Glissandoteil vor, der sich über 100 Takte auffächert, um in einem 38taktigen, stärker strukturierten Finale bis zum ausklingenden Schluss sich zu intensivieren. Allerdings sind die musikalischen Ausdrucksmittel nicht jeweils auf die beschriebenen Abschnitte beschränkt.

Im ersten Abschnitt, dessen sukzessiv einsetzende Klänge ganz nah am Steg erzeugt werden und so den geräuschigen Charakter ergeben, sind schon bald und leise klingende Akkorde eingeworfen; und der Kontrabass (mit Violoncello) festigt sich zum Ende hin, wenn die Violinen zu strukturierenden Septolen wechseln, zu einem Bordun, der sich auch bald zum ersten Glissando verändert. Die Klanggebung geschieht vor allem über Crescendi und Decrescendi, die von Anbeginn die Geste des Atmens etablieren und, da die permanente dynamische Veränderung auch die Klangfarben mit verändert, auch Vorformen von Glissandi.
Im Kontrabasssolo wird die Essenz dieses Vorgangs wiederholt. Das voneinander abgesetzte, zum zweifachen piano An- und Abschwellen des Klangs mit halbtönigen Alterationen geht über in kürzere oder längere Glissandi. An gleicher Stelle wird ein Gitarrenverzerrer zugeschaltet, der irreguläre Obertonsprünge bewirkt. Dieses Kontrabasssolo, das architektonisch die Brücke zwischen erstem und drittem Teil bildet, ist inhaltlich der Kern des ganzen Stücks. Ein fünftaktiges Glissando führt zum letzten Abschnitt.

Dieser letzte Teil beginnt mit einem ‚atmend’-geräuschigen Klang vom Cello, der sich über der asynchron ‚atmend’ gestrichenen Kontrabasssaite und dem Bordun einer anderen spannt. Wie bei allen anderen nach und nach hinzutretenden Instrumenten wird dem Cello, wenn es vom Geräusch zum Ton überwechselt, ein Gitarrenverzerrer zugeschaltet. Von da an dominieren die vielfach gegeneinandergeführte Glissandi das Stück, steuern immer wieder tonale Kreuzungen an, ohne sich auf ihnen aufzuhalten und ohne je eine traditionelle Funktionsharmonik anzustreben. Der zugleich einsetzenden Augmentation und Verdichtung der Stimmen entspricht eine dynamische Steigerung aus dem mezzopiano ins mezzoforte. Nachdem das dreifache forte erreicht ist, beginnen die strukturierenden Sechzehntel in den Violinen und zunächst auch im Kontrabass. Die agitierenden Elemente häufen und verdichten sich, um schließlich in einer neuntaktigen Schlusspassage zu verklingen.

Das Ganze ist von der Idee der Metamorphose geleitet, die oft ihre dramaturgischen Wurzeln in der Physik hat, zum Beispiel die Dramaturgie des Aufspaltens und Vergrößerns eines Klanges, die Schwartz  bei "Music for Five Stringed Instruments" anwandte. Er fasst zusammen: "Es geht um eine Art mikroskopische Vergrößerung eines Rauschens, die bei einer langsam, aber unaufhaltsam näher rückenden Perspektive viele zerlegte Komponenten dieses Rauschens in Erscheinung treten lässt. Das Rauschen wird zum Ton, die Töne werden dann sehr breit in dem Obertonspektrum und werden in einer Art Polyphonie der Glissandi zu einem Gewebe, in dem die Linien sich langsam bündeln und in Cluster verfestigen. Der am Ende entstandene sehr geräuschhafte Cluster stellt eine Art physikalische Vergrößerung des anfänglichen Rauschens dar."

Die starke Wirkung der "Music for Five Stringed Instruments" ist sicher ihrer einfachen Architektur zu verdanken, viel mehr aber den relativ wenigen, dafür intensiven gestischen Mitteln: dem Atem, den Glissandi, den agitierenden akkordischen Einwürfen und gliedernden Sechzehntelketten, den Triolen, Quintolen und Septolen. Am wirkungsmächigsten aber ist die kompositorische Handhabung all dieser Elemente: das überzeugende Timing und das sichere Gefühl des Komponisten für suggestive Klangverläufe.

Im Gegensatz dazu vermittelt Jay Schwartz den Eindruck einer total determinierten Komposition. Von der Lehre Le Corbusiers schreibt er, von der Fibonacci-Reihe, von der Übertragung der architektonischen auf zeitliche Maße, von der Verhältniszahl 0.618 des Goldenen Schnitts, auf die sich alle Distanzen und Geschwindigkeiten der Klangbewegungen beziehen, und von dem Klangraum zwischen der großen und kleinen Sexte, der zum Motiv eines Kanons wird, der die Parameter Zeit und Raum, also Geschwindigkeit und Richtung, kontrapunktisch präsentiert. Andererseits hebt er das empirische Vorgehen und die Intuition bei der Gestaltung von Zeit hervor, die ihm einen nahezu "organischen" Verlauf der Klangmetamorphose ermöglichen. Tatsächlich scheint beides in der Person Jay Schwartz so ineinanderzugreifen, dass er den starken Effekt mit den stimmigen Proportionen zum richtigen Zeitpunkt erspürt. Der dramaturgische Trieb einer Komposition ist für ihn nicht von den physikalischen Beziehungen der Töne und Klänge zueinander zu lösen.

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