Musikalische Tonraumbewegungen kennen nur zwei Richtungen: Steigen und Fallen. Beide Richtungsangaben sind untrennbar miteinander verwoben, denn wer vom Fallen redet, spricht von Höhe, von Fallhöhe und vom vorangegangenen Aufstieg.
Jede Melodie steigt und sinkt – diese Aussage erscheint banal. Und doch ist die Topographie des musikalischen Raumes ein schier unerschöpfliches Feld phantasievoller Bildungen, die in ihrer Energetik über das rein Formelle hinausweisen.
Im Barock spricht man von der musikalisch-rhetorischen Figurenlehre. Aber auch Werke von Beethoven, Schubert, Chopin, Wagner und Bruckner lassen sich als musikalische Inszenierungen großer melodischer Steigungen und Falllinien beschreiben und erfahren.
Musikalische Spannungslinien lassen sich in Beziehungen setzen zur den Topographien verschiedener Weltbilder. Wichtig war uns, diese Beziehungen nur aus subjektiv-kreativer (nicht aus historisch-objektiver) Sicht zu betrachten, um Möglichkeiten zur Gestaltung zu eröffnen.
Anhand exemplarischer Musikbeispiele, die in ihrem melodischen Gestus und ihrer Aura die Thematik des "Fallens" Klang werden lassen, wurde versucht, das Verhältnis von Steigen und Fallen in jeweils eigener Weise zu beleuchten.
Die Beispiele reichten von der H-Moll-Messe Bachs ("Crucifixus – et ressurexit") über die Einleitung von Beethovens Sonate "Pathétique" zu Schuberts "Gute Nacht" aus dem Lieder-Zyklus "Winterreise".
Nach der Arbeit an den historischen Beispielen stand die Auseinandersetzung mit Carsten Hennigs "Kadenzes" im Mittelpunkt.