Run Time Error ist der Titel einer Werkreihe von Simon Steen-Andersen, die seit 2009 entsteht. Der grundlegende Entwurf dieser Stücke kann durchaus mit einem prominenten Phänomen der jüngeren dänischen Kulturgeschichte in Verbindung gebracht werden: Im März 1995 unterzeichneten die Regisseure Lars von Trier und Thomas Vinterberg in Kopenhagen das Manifest "Dogma 95", in dem zehn strikte Regeln zur Filmproduktion niedergelegt sind. Die "Dogma"-Protagonisten zielten auf eine Erneuerung des Konzepts des Autorenfilms der Nouvelle Vague, dem sie letztlich zu wenig künstlerischen Mut und zu viel Anpassungsbereitschaft attestierten. Mit ihrer konstruktiven Selbstbeschränkung ging es den "Dogma 95"-Akteuren um eine unbedingte Wirklichkeitsbezogenheit, mithin um die Identität von Zeit, Ort und Handlung. Entsprechend lautet die erste Regel des Manifests:
"Als Drehorte kommen ausschließlich Originalschauplätze in Frage, Requisiten dürfen nicht herbeigeschafft werden."
Mit seiner ortsspezifischen Performance Run Time Error knüpft Steen-Andersen an die konstruktive Selbstbeschränkung von "Dogma 95" an und formuliert im Werkkommentar gleichermaßen Regeln, die für die Realisierung dieser Arbeit verbindlich sind:
Diese klaren Direktiven sind im Falle von Run Time Error mehr als ein Konzept; sie sind ein notwendiges Mittel zur Überwindung der Kontingenz, vor die der Performer sich hier gestellt sieht. Denn sein "Instrument" ist nichts weniger als ein Gebäude – mit allem, was sich darin befindet. Demzufolge hat auch Steen-Andersens Regelwerk nichts mit Verboten zu tun: "Es sind", sagt er, "keine negativen Dogmen, sondern positive Werkzeuge, die den Weg zu einem expressiven Zugriff ebnen."
Dieser Zugriff besteht in Run Time Error zunächst in einem ebenso erfindungsreichen wie akribischen "musikalischen Lesen" der jeweiligen Umgebung. Arrangiert wird ein Parcours aus vorgefundenen Klanggebern (im denkbar weitesten Sinne), der vom Performer abgelaufen wird. In den Aufnahmen dieser "Durchläufe" ist Steen-Andersen dabei zu sehen, wie er Gegenstände, Geräte und Architekturelemente betastet, beklopft, in Gang setzt und die entstehenden Klänge mit einem Handmikrophon aufzeichnet. Bisweilen sind die Gegenstände nach dem Prinzip von Was-passiert-dann-Maschinen angeordnet bzw. werden äußert phantasievolle Möglichkeiten der Klangerzeugung realisiert. Dem Performer auf den Fersen ist ein Kameramann, der das Geschehen im Bild dokumentiert.
Ein zweiter Schritt von Run Time Error besteht dann in der Live-Performance des Stücks. Dazu verteilt Steen-Andersen sowohl den Ton als auch das Bild der Videoaufzeichnung auf zwei Kanäle – im Sinne einer zweifachen Videoprojektion und einer Stereo-Beschallung. Beide Kanäle verwenden das gleiche Material, das mit zwei Joysticks unabhängig gesteuert werden kann. Auf diese Weise kann der Performer Zeit und Richtung von Ton- und Bildsignalen manipulieren: vorwärts und rückwärts, schneller und langsamer, Start und Stop. Der visuell-akustische Effekt, der auf diese Weise entsteht, entspricht der sogenannten Scrub-Funktion in Sound- und Videobearbeitungssoftware; ein Werkzeug, mit dem der Bild- bzw. Tonverlauf manuell mit der Maus gesteuert werden kann, um präzise an die jeweils gewünschte Position heranzuzoomen.
In diesem Strecken und Stauchen, Beschleunigen, Verlangsamen und Umkehren folgt Steen-Andersen letztlich den Prinzipen eines barocken Formmodells: der (zweistimmigen) Invention. Auch hier sind Augmentation, Diminution und Umkehrung der musikalischen Soggetti ein wesentliches Charakteristikum. Durch die akustisch-visuelle Erscheinungsform von Run Time Error entsteht nun noch ein gewisser "Mehrwert": Während das Erkennen und Nachvollziehen der Formmerkmale der Invention eines geschulten Ohrs bedarf, liegt die Behandlung des Musik- und Bildmaterials hier jederzeit völlig offen und ist direkt erkennbar. In diesem Sinne dokumentiert Run Time Error nicht zuletzt Simon Steen-Andersens Vorliebe für die Arbeit mit "klassischen" Formen, die er in seinen Kompositionen zugleich aufgreift und erneuert.
Diese Affinität für den "innovativen Rückblick" beschreibt er bereits in einem kurzen Text aus dem Jahr 2003: "Ich möchte", schreibt er hier, "gegen eine besorgte Haltung gegenüber der Kunstmusik eintreten, zugleich aber Sorge dafür tragen, dass die Musik Medium für eine kontinuierliche aktuelle ästhetische Diskussion sein kann".