Zum Einstieg in die Unterrichtsreihe sollen die Schülerinnen und Schüler "Quadro I", den ersten Satz der "Três quadros sobre pedra", konzentriert hören – und zwar ohne den Titel, das Instrumentarium oder den Notentext der Komposition zu kennen. Ihre individuellen Eindrücke und Beobachtungen sowie Fragen sollten sie dabei stichwortartig mit Plakatschreibern auf Papierbögen festhalten. Anschließend heften die Schülerinnen und Schüler ihre Aussagen für alle sichtbar an die Tafel oder eine Pinnwand. Bemerken sie dabei Zettel mit inhaltlich verwandten Aussagen, so können sie ihre Bögen in der Nachbarschaft platzieren.
In einem weiteren Schritt sollen die Schülerinnen und Schüler dann die Aussagen sichten und gegebenenfalls umgruppieren, so dass sich Inhalts- und Themencluster ergeben. Zu diesen Themenclustern sollen dann Überschriften gefunden werden, die den Fokus der jeweiligen Cluster benennen (z.B. "Ausdruck", "musikalische Eigenschaften", "Klangerzeugung", "Intention des Komponisten", "subjektive Wirkung" ). Durch den Vergleich und die Reflexion der Beobachtung können in einer abschließenden Plenumsdiskussion erste vorläufige Aussagen zu grundlegenden musikalischen Eigenschaften des Stückes getroffen sowie Leitfragen für die weitere Beschäftigung mit der Musik Antunes Penas entwickelt werden.
Hörbeispiel 1 (Luís Antunes Pena: Quadro I)
Die "Três quadros sobre pedra" thematisieren auf verschiedene Weise die Klangformen, die auf Granitsteinen bzw. -platten mithilfe verschiedener Spieltechniken erzeugt werden können. Im Zentrum des Werks steht demnach die Gestaltung und Entwicklung der Klangfarbe. Allerdings ist dieser musikalische Parameter aus den meisten tradierten Notationsformen, die wesentlich auf die Darstellung von Tonhöhen- und Dauernverhältnissen fokussiert sind, nur unzureichend abzulesen; dies gilt auch für die Partitur von "Três quadros sobre pedra". Daher ist hier ein auditiver Zugang sinnvoll.
Der Einstieg in die Unterrichtsreihe ist insofern offen, als die Schülerinnen und Schüler ohne lenkende Vorinformationen oder enge Leitfragen allein ihre Höreindrücke festhalten sollen. Indem dies in schriftlicher Form geschieht und durch das Anheften z.B. an die Tafel von den Personen gelöst wird, kann vermieden werden, dass der Diskurs schon zu einem frühen Zeitpunkt durch die Beiträge von meinungsstarken Wortführern fokussiert wird.
Das anschließende Sichten und Gruppieren der Aussagen dient nicht nur dazu, die verschiedenen Hörperspektiven auf die Musik kennenzulernen und zu vergleichen, sondern auch, den Prozess des Musikhörens zu reflektieren. Tatsächlich erweist der scheinbar offene Zugriff zugleich, wie voraussetzungsvoll jedes Musikhören in Wirklichkeit ist – wie viel also von dem, was wir hören (und interessanterweise auch von dem, was wir nicht hören), von kulturellen Vorprägungen, Erwartungen und Normen bestimmt ist. So überwiegen bei der Beschreibung der Höreindrücke neuer Musik bei unerfahrenen Hörern meist Aussagen, die weniger als den Ausdrucksgehalt der Musik das subjektive Erleben während des Zuhörens betreffen; in meinem Falle schilderten die Schülerinnen und Schüler die Wirkung der Musik vielfach als "unangenehm", "verstörend" und "bedrückend".
Viel geringer ist in der Regel der Anteil an Aussagen zur konkreten Faktur der Musik; in meinem Fall betrafen sie entweder sehr globale Aspekte (so die grobe dynamische Entwicklung: „zuerst leise, dann wird es lauter"), oder sie wurden negativ formuliert als Fehlen vertrauter Gestaltungsweisen (z.B. „keine Melodie", „kein Beat"); viele Aussagen betrafen die konkrete Klangerzeugung.
Auf dieser Basis können gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern Leitaspekte für die weitere Beschäftigung mit dem Stück entwickelt werden. In meinem Kurs wurde einerseits klar, dass vertraute musikalische Kategorien wie "Melodie" und "Rhythmus" zum Verständnis des Quadro I wenig hilfreich sind; daher war zu fragen, welchen Gestaltungskriterien dieses Werk folgt. Andererseits erkannten die Schülerinnen und Schüler, dass ihnen für dasjenige, was hier als Hauptgegenstand der kompositorischen Gestaltung zumindest vage zu erkennen war (nämlich die klangfarblichen Prozesse), ein angemessenes – und das heißt vor allem: differenziertes – Vokabular fehlte. Die Erarbeitung der musikalischen Faktur muss demnach mit Ausbildung eines sprachlich-begrifflichen Repertoires einhergehen.