Annesley Blacks "Flowers of Carnage" für gemischtes Ensemble, Stimme und Live Elektronik ist eine mit und für Schülerinnen und Schüler erarbeitete Komposition. Inhaltlich bezieht sich das Stück auf die mediale Darstellung ostasiatischer Kampfkunst in Martial-Arts-Filmen. Im Erarbeitungsprozess des Stückes hat Black den Schülerinnen und Schülern kurze, Martial-Arts-Filmen entnommene Klangbeispiele präsentiert, wie etwa Schreien, Ächzen, Stöhnen, Röcheln, Atemgeräusche und Herzschlag der Kämpfenden, das Flitzen und Geklirr ihrer Schwerter und Peitschen, brutale Kampfgeräusche wie spritzendes Blut und dumpfe Schläge. Diese Geräusche wurden von den Schülern ausschließlich hörend analysiert, transkribiert, instrumentiert und schließlich neu komponiert. Dazu notiert Black in einer Programmnotiz:
"In solch langen Verfremdungsprozessen wurden die Klänge langsam und schmerzhaft ihrer ursprünglichen Funktion entrissen".
Zu der Arbeit am Klang kam die Bewegungsarbeit mit der Choreographin Evelin Stadler, die mit den Schülern auf der Basis des hoch stilisierten Bewegungsrepertoires von Kung Fu eine breite Palette an Bewegungen entwickelte. In dem kreativen Annäherungsprozess der Schüler an die drastischen Vokal- und Geräuschklänge spielen demnach praktische, körperliche und seelische Erfahrungen eine große Rolle.
Entstanden ist auf diese Weise zugleich eine singuläre Konzeption instrumentalen Theaters, deren großer Reiz in den graduell variierenden Abstraktionsgraden von Darstellungsstrategien der Martial-Arts-Filme besteht. Sie eröffnen einen vertieften Zugang zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt und sprechen ein jugendliches wie auch erwachsenes Publikum gleichermaßen an. Abstrahierend wirkt bereits die Form des Stücks. Während die Martial-Arts-Filme eine durchgehende, narrative Handlung besitzen und damit einen auf ein Ziel ausgerichteten Spannungsbogen, besteht "Flowers of Carnage" aus einer losen Folge einzelner kurzer Aktionen oder Situationen, die meist abrupt wechseln und auf ganz unterschiedliche Darstellungsformen fokussiert sind. Das für Martial-Arts-Filme unabdingbare Moment des Suspense, der Spannung, ist damit aus der Gesamtkonzeption herausgenommen. Es besteht die Möglichkeit für das Publikum, sich stärker auf die Einzelaktionen zu fokussieren, die nun für sich selbst stehen. Dabei wechseln vokale oder instrumentale Aktionen, Bewegungen der Gruppe oder einzelner Darsteller, narrativ theatrale Momente oder abstrakte Formationen im Raum einander ab und werden in allen nur denkbaren Konstellationen miteinander kombiniert. So entsteht ein breites Spektrum an Aktionen zum Thema Gewalt, wobei sowohl die Ausübung wie auch das Erleiden von Gewaltausübung thematisiert werden. Allen diesen Aktionen ist gemeinsam, dass sie in hohem Maße stilisierend mit der Thematik umgehen. Dazu trägt zum einen die Isolation einzelner Aspekte bei.
Darüber hinaus wird auch die Technik der Repetition eingesetzt, um eine distanzierende Stilisierung zu erzeugen. Eine Aktion zeigt etwa, wie die gesamte Gruppe von 25 Darstellerinnen und Darstellern immer wieder zu Boden sinkt, während ein energetisch hoch aufgeladenes Klanggemisch vom elektronischen Zuspiel erklingt. Die Wiederholung des Niedersinkens ermöglicht dem Publikum eine intensivierte Wahrnehmung dieser für Kampfszenen typischen Geste des Unterliegens und eine reflektierende Distanz zugleich. Im Verlauf des Stückes werden Kampfbewegungen einzeln oder in der Gruppe gezeigt.
Beispiele für vokale Aktionen sind ein aggressiver Schrei-Dialog, von der Gruppe im Fortissimo herausgebrüllte asiatische Sprachformeln und die sängerische Darbietung des Titelsongs "Shura no hana" aus dem Film "Lady Snowblood" (1973, Regie: Toshiya Fujita), [s. Video unten] auf den sich der Titel von Blacks Stück bezieht. Instrumentale Aktionen werden als Begleitung einer motorischen Aktion eingesetzt oder stehen für sich. Am Ende des Stückes ist zum Beispiel die Durchquerung des Raums durch eine Performerin eindrucksvoll inszeniert. Ihr Weitergehen kombiniert sie mit dem Öffnen und Schließen eines großen, roten Schirms, das in vier einzelne Bewegungsmuster untergliedert ist. Jedem dieser vier Bewegungsmuster ist ein Klangaggregat des Instrumentalensembles zugeordnet. Die Performerin kann so mittels Tempovarianten des Schirmöffnens und -schließens auch die Zeitlichkeit der Klangabfolge regulieren. Auch das elektronische Klangzuspiel wird mit verschiedenen Bewegungssituationen in Verbindung gebracht. Durch die Stilisierung entfalten die Einzelaktionen einen ganz eigenen ästhetischen Reiz, der das Thema der Gewalt konterkariert. Es wird im ästhetischen Raum gleichermaßen intensiviert und zugleich geborgen.
"Flowers of Carnage" besitzt zahlreiche Berührungspunkte mit Blacks künstlerischem Schaffen. Elemente aus Musik und Bewegung, Visuellem, Sport, Spiel, Theater und Elektronik verbinden sich darin zu einer ganz neuen Form instrumentalen Theaters. Das Stück wurde mit der AG Neue Musik am Leininger Gymnasium Grünstadt erarbeitet und im Rahmen der Donaueschinger Musiktage 2013 uraufgeführt.