Biografie

Annesley Black wurde 1979 in Ottawa, Kanada, geboren. Sie studierte Komposition bei Brian Cherney an der McGill University in Montréal sowie von 2004 bis 2006 bei York Höller und Hans-Ulrich Humpert an der Musikhochschule in Köln. Von 2006 bis 2008 studierte sie außerdem bei Mathias Spahlinger (Komposition), Orm Finnendahl (Elektronische Musik) und Cornelius Schwehr (Angewandte Musik) an der Musikhochschule Freiburg. Seit 2008 ist sie als Assistentin für Klangregie bei Auftritten und Aufnahmen des Experimentalstudios des SWR (Strobel-Stiftung) und als Klangregisseurin für Ensembles und Solisten wie ensemble recherche, canto battuto und Rei Nakamura tätig. Seit 2013 unterrichtet sie Gehörbildung an der Kronberg Academy (in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt a.M.). Ihre Vielseitigkeit zeigt sich bei zahlreichen Projekten und Kooperationen in den Bereichen Film, Theater, Tanz und Rockmusik. Annesley Black wohnt in Frankfurt am Main mit ihrem Mann Robin Hoffmann und Sohn Bodo.

Annesley Black erhielt verschiedene Auszeichnungen und Stipendien, u.a. den Preis des 8. Nachwuchsforums junger Komponisten der Gesellschaft für Neue Musik (GNM) und des Ensemble Modern (2006), den Stipendienpreis der Darmstädter Ferienkurse (2006), das Kompositionsstipendium der Frankfurter Mozart-Stiftung von 1838 (2007, 2008), den Busoni Förderpreis der Akademie der Künste (2008), den Kompositionspreis der Landeshauptstadt Stuttgart (2009) und ein Kompositionsstipendium der Akademie der Künste, Junge Akademie (2009).

Ihre Werke wurden von Ensembles wie dem hr-Sinfonieorchester, Ensemble ascolta, Ensemble Modern, ensemble mosaik, dem Kammerensemble Neue Musik Berlin, Ensemble SurPlus, composers slide quartet, Ensemble contemporain de Montréal (ECM+) und Nouvel Ensemble Modern sowie von Musikern wie Rei Nakamura, Jessica Rona, Andrew Digby, Nicolas Hodges, Theo Nabicht und Ernesto Molinari (ur-)aufgeführt.

Autonomie und Bindung | Zum Komponieren von Annesley Black

von Marion Saxer

Das kompositorische Schaffen von Annesley Black ist einerseits durch zahlreiche Bindungen und Bezüge zu ihrer direkten Umgebung und Alltagswelt geprägt, andererseits sind ihre Werke jedoch auch autonome Kunstwerke. Es ist bemerkenswert, dass in Blacks Arbeit diese außermusikalischen Bindungen keine Schwächung, sondern eine Stärkung der musikalischen Autonomie bewirken, obwohl musikalische Autonomie in ihren unterschiedlichen historischen Ausprägungen stets mit der Idee der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit verbunden war – sei es die Unabhängigkeit von funktionalen Einbindungen, wie z.B. in der Kirchenmusik oder Tanzmusik, oder von programmmusikalischen Konzeptionen verschiedenster Art. Mit der Idee eines durch Bindungen gestärkten Autonomiebegriffs, der quer steht zu den gängigen Vorstellungen, nähert sich Black einem Gedanken des Soziologen Bruno Latour, der einmal bemerkt hat: "Wie wir wieder und wieder gesehen haben, verringern Bindungen nicht die Autonomie, sondern fördern sie." (Bruno Latour, "Die Hoffnung der Pandora", Frankfurt am Main 2002, S. 338)

Trotz der bedeutenden Rolle außermusikalischer Bezüge für ihr Arbeiten geht es Black nicht darum, traditionelle Gegenmodelle autonomer Musik wieder aufzugreifen. Sie schreibt weder funktionale Musik noch Programmmusik. Bindungen manifestieren sich in ihren Kompositionen auf andere Weise und zunächst einmal in ganz realen menschlichen Beziehungen. Black integriert zum Beispiel immer wieder ausdrücklich Anregungen von Personen, die ihr nahe stehen, in ihre Stücke. So sind einige ihrer Arbeiten – wie z.B. "Smooche de la rooche II" (2007) – in regem Austausch mit der befreundeten bildenden Künstlerin Hazel Meyer entstanden. "GURU-GURU". Doppelrequiem für Karlheinz Stockhausen und Steve Jobs (2013) ist eine Gemeinschaftskomposition mit ihrem Ehemann, dem Komponisten Robin Hoffmann. Eine große Rolle spielt zudem für Black die Zusammenarbeit mit Interpretinnen und Interpreten. Fast alle ihre Stücke sind im Austausch mit Musikerinnen und Musikern entstanden.

Was Bindung oder Verbindung meint, geht bei Black aber über diese rein menschliche Ebene noch hinaus. In Verbindung sein heißt auch, ein sicheres Gefühl dafür zu entwickeln, welche Themen, Fragestellungen und Klänge wichtig für das eigene künstlerische Arbeitsfeld sind – heißt, das Gespür für die eigenen künstlerischen Anliegen stets wach zu halten. Und so findet Black immer wieder Texte oder Klänge, die sie berühren, aufmerken lassen und zu eigener künstlerischer Artikulation und kompositorischer Strukturfindung anregen.

Die Fäden, die sich in ihren Stücken zu außermusikalischen Themen spinnen, sind außerordentlich vielfältig. In mehreren Stücken hat sie sich intensiv mit dem Thema Sport auseinandergesetzt. Generell spielen Visuelles und Bewegung sowie deren Koppelung mit Musik eine herausragende Rolle für Blacks Komponieren. Dies manifestiert sich auch in ihrer Affinität zu Filmen und nicht zuletzt zu Computerspielen. Überhaupt stellen spielerische Elemente, stellt das spielerische Erkunden des musikalischen Materials ein wichtiges Charakteristikum ihres Schaffens dar. Dazu gehören auch ihr hintersinniger Humor und ein Sinn für das Skurrile.

Ein weiteres thematisches Feld wird durch ihre Faszination durch afrikanische Musik angeregt, auf die etwa die Entstehung ihres Stückes "misinterpreting the 2008 south sudanese budget reform for the orchestra" (2011/12) zurückgeht.
Charakteristisch für die kompositorische Arbeit Blacks ist zudem ihre virtuose Verwendung neuerer digitaler Technik, die ebenfalls eine Form der Bindung darstellt. Hierbei interessieren sie insbesondere musikalische Prozesse, die auf menschliche Interpretinnen und Interpreten und technische Akteurinnen und Akteure gleichermaßen verteilt sind. Jedes ihrer technisch unterstützten Stücke besitzt ein einzigartiges Setting. So gehört "4238 De Bullion" (2007/08) zu den ersten Kompositionen für Live-Video überhaupt. Black entwickelt darin eine spezifische Form der intermodalen Irritation audiovisueller Wahrnehmungsprozesse, das heißt die in der alltäglichen Wahrnehmung selbstverständliche Verknüpfung von Sehen und Hören, wie sie etwa bei den Spielbewegungen eines Instrumentalisten gegeben ist, wird entkoppelt und in überraschender Weise neu kombiniert.

"Aorko" für Viola solo, drei Lautsprecher und Live-Elektronik (2006/09) ist als ein Duett zwischen Bratsche und Live-Elektronik konzipiert, in dem der Klangregisseur gleichberechtigt mit der Interpretin interagiert. Bratsche und Lautsprecher bilden demgegenüber sogar ein Quartett zwischen Instrument und Technik.

Das Zulassen all dieser Verbindungen bedeutet für Black keineswegs die Ent-Bindung von einer eigenständigen künstlerischen Bearbeitung des musikalischen Materials. Im Gegenteil: Diese ist der eigentliche Kern ihrer Arbeit. In komplexen Übersetzungs-, Filter- und Strukturierungsprozessen destilliert sie ihre Kompositionen heraus. Die Bezüge zu außermusikalischen Themen schlagen sich niemals programmmusikalisch in den Stücken nieder, sondern sind vielmehr so etwas wie Katalysatoren für neue, originäre Klangfindungen oder strukturelle Innovationen. So ist etwa "Humans in Motion" (2008) durch die Überlagerung komplexer Tempo-Schichtungen wie alle ihre Stücke reich an satztechnischen Finessen. Dem Orchesterstück "misinterpreting the 2008 south sudanese budget reform for the orchestra" (2011/12) liegen zwar afrikanische Originalgesänge zu Grunde, die sie minutiös transkribiert hat, das Ergebnis erinnert jedoch nicht unmittelbar an die Vorlagen – sie schimmern lediglich durch. Mit der Intention, das Ausgangsmaterial so intensiv wie nur möglich zu verdichten, erschließt Black vielmehr dem Orchesterklang im Prozess der Transformation überraschend neue Klangbilder.

Die musikalische Autonomie, die Black in ihren Kompositionen realisiert, beruht auf einem kompositorischen Denken, das sich auf Bindungen einlässt. Mit dieser Dialektik eröffnet sie neue Sichtweisen auf den Begriff musikalischer Autonomie, der, obwohl erst um 1930 entstanden, mittlerweile in seiner traditionellen Form als veraltet erscheint und das zeitgenössische Musikdenken nicht mehr adäquat zu erfassen vermag.

Werkverzeichnis

Orchesterwerke

misinterpreting the South-Sudanese budget reform of 2008 for the orchestra (2011/12) für großes Orchester, Dauer: ca. 14 Minuten Uraufführung: 09. März 2012 Frankfurt a.M., hr-Sinfonieorchester, Dir. David Robert Coleman

Ensemblewerke

LAUF (2005) for nine Instruments (Fl., Ob., Klar., Schlz., Klav., V., Va., Vc., Kb.), Dauer: ca. 17 Minuten Uraufführung: 16. Juni 2006 Frankfurt a.M., Ensemble Modern, Dir. Titus Engel

Humans in Motion (2007/08) für Kammerensemble (Trp., Pos., Git./Bjo., Klav., Schlz., Vc.), Dauer: ca. 18 Minuten Uraufführung: 9. Juli 2008 Darmstadt, Ensemble ascolta, Dir. Lukas Vis

Snow job (2010) für Ensemble (Fl., Ob., Klar., Sax, Klav., Schlz., Vn., Va., Vc.), Dauer: ca. 15 Minuten Uraufführung: 9. September 2010 Oslo, ensemble mosaik, Dir. Enno Poppe.

Jenny's last rock (2012) für Ensemble (Fl./Picc., Klar., Fg., Englisch-Hr., Klav., Schlz., 2 Vn., Va., Vc) und 5 Cassettenrecorder, Dauer: ca. 13 Minuten Uraufführung: 2. November 2012, Banff/Alberta (Kanada), Ensemble contemporain de Montréal (ECM+), Dir. Véronique Lacroix

GURU-GURU. Doppelrequiem für Steve Jobs und Karlheinz Stockhausen (2013) Gemeinschaftswerk mit dem Komponisten Robin Hoffmann für Kammerensemble (Trp., Pos., Klav./Synth., Schlz., E-Git., Vc.), Dauer: ca. 20 Minuten Uraufführung: 28. April 2013 Witten, Ensemble ascolta

Kammermusik

FIGHT (2002/03) für Holzbläserquintett, Dauer: ca. 10 Minuten Uraufführung: 2002 Saint-Irénée/Quebec (Kanada), Nouvel Ensemble Modern, Dir. Domaine Forget, Uraufführung (Version 2003): Montréal, Quintet Boréal

Folds Dependent (2003) für Streichquartett, Dauer: ca. 12 Minuten Uraufführung: 2003 Montréal, Mitglieder des McGill Contemporary Music Ensemble

Miniature (2005) Für Saxophon-Quartett, Dauer: ca. 5 Minuten Uraufführung: Juni 2005 Wuppertal, Con Calore Quartet

Aorko (2006/09) für Viola und live-elektronische Klangbearbeitung, Dauer: ca. 15. Minuten Uraufführung: 04. Mai 2009 Frankfurt a.M., Jessica Rona

Rock Paper Scissors (2006) für Bassklar., Pos. und Kb., Dauer: ca. 17. Minuten Uraufführung: Februar 2007 Freiburg, Andrea Nagy, Andrew Digby und Dario Calderone, Dir. Alistair Zaldua

Smooche de la Rooche II - Variations on a theme by Hazel Meyer (2007) für drei athletisch begabte Schlagzeuger und Elektronik, Dauer: ca. 16 Minuten Uraufführung: 4. Juli 2007 Freiburg, Johannes Knopp, Peer Kaliss und Kevin Sims

4238 De Bullion (2007/08) für Klavier solo und live-elektronische Klang- und Videobearbeitung, Dauer: ca. 18 Minuten Uraufführung: April 2008 Freiburg, Rei Nakamura Uraufführung (Version 2008): 9. November 2008 Berlin, Rei Nakamura

tender pink descender (2009) für zwei Kontrabass-Klarinetten, Dauer: ca. 12 Minuten Uraufführung: 10. April 2011 Köln, Theo Nabicht und Ernesto Molinari

industrial drive (2009/10) für Posaunen-Quartett, Dauer: ca. 12 Minuten Uraufführung: 19. Mai 2010 Wien, Composers Slide Quartet

a piece that is a size that is recognized as not a size but a piece (2013/14) für Klavier solo und optionale Text-Projektion, Dauer: ca. 15 Minuten Uraufführung: 7. Februar 2014 Stuttgart, Nicolas Hodges

Installationen, Elektronik, besondere Besetzungen

PULL THE PLUG - Las Vegas and Venice, a comparative study (2009/10) Zusammen mit der Regisseurin Sophie Narr Klang- und Videoinstallation mit 5 Lautsprechern in einem Aquarium, Bildern, die in eine Badewanne projiziert werden, Aquarium und Wasser-Umwälzsystem, mit Klängen und Bildern aus Las Vegas und Venedig, Dauer: ca. 18,5 Minuten Uraufführung: 12. bis 30. März 2010 Berlin Uraufführung der 5-Kanal-Lautsprecher/Kopfhörer-Version (ohne Wasser-Arbeiten): 23. November 2012 Frankfurt a.M.

SCHLAEGERMUSIK (2010) zusammen mit der Künstlerin Hazel Meyer, Dauer: ca. 45 Minuten für Badminton-Team und live-elektronische Klangbearbeitung Uraufführung: 9. Oktober 2010 Remseck, Badmintonverein Remseck, Hazel Meyer und Annesley Black

Flowers of Carnage (2013) für ca. 25 Teenager (Instrumente, Gesang, Kung-Fu-Kämpfer, Solo Wii-Stick Bediener) und Live-Elektronik, Dauer: ca. 45 Minuten Uraufführung: 20. Oktober 2013, Donaueschingen, AG-Neue Musik am Leininger-Gymnasium Grünstadt

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