Im Unterricht

von Björn Gottstein

Das Großartige an der Musik von Haydn und Beethoven, erklärt Orm Finnendahl den Schülern, sind ja nicht die Dur-Dreiklänge, die sie komponiert haben, sondern die Art und Weise, wie sie diese Dur-Dreiklänge in ein Verhältnis zueinander setzen. Mit anderen Worten: es geht nicht so sehr darum, die Welt der Klänge auf den Kopf zu stellen und die entlegensten Geräusche zu kultivieren, sondern vielmehr darum, verfügbare Materialien auf originelle und vor allem sinnstiftende Weise miteinander zu verbinden. Der Begriff "Versatzstücke", der Titel der Komposition von Finnendahl, das dem Workshop am Waldshuter Hochrhein-Gymnasium zugrunde lag, veranschaulicht dieses Prinzip. Denn Versatzstücke, eigentlich bewegliche Teile einer Bühnendekoration, sind ja fertige, bereits existierende Einheiten, die nur noch an ihren Platz gerückt werden müssen, um dort im Gesamtzusammenhang ihre Bedeutung zu entfalten.

Die Schülerinnen und Schüler der Klasse 11aM und die Arbeitsgemeinschaft Klangbaustelle des Hochrhein-Gymnasiums Waldshut unter Anleitung von Matthias Handschick haben den Begriff beim Wort genommen. Am Anfang ihrer Erkundungen stand dann auch das "Versetzen" elementarster Strukturen: eine chromatische Tonleiter abwärts, ein Decrescendo, an sich banale Abläufe, die aber, wenn man sie zergliedert, an Tiefe und Profil gewinnen.

Bemerkenswert ist, wie sich die Verfahren des "Versetzens" im Verlauf des Workshops verfeinerten und dass sogar ein gesteuertes Zufallsverfahren ähnlich "Schnick-Schnack-Schnuck" hinzugezogen wurde, um die Position eines Versatzstückes innerhalb einer Komposition zu ermitteln. Schließlich wurden auch elektronische Speichermedien, sprich: ein Computer, hinzugezogen, mit deren Hilfe dann Versatzstücke, zum Beispiel Aufnahmen aus der Küche, collagiert wurden. Und wo Schülerinnen und Schüler einige aus dem Internet heruntergeladene Ausschnitte aus Politikerreden zum Material erkoren und mit den unzweideutigen Geräuschen einer spülenden Toilette konfrontierten, wurde der Begriff "Versatzstück" gar noch in einem anderen Sinne verständlich, im Sinne eines Klischees nämlich.

Auf die Arbeit mit vollkommen heterogenen Materialien haben die Schülerinnen und Schüler allerdings verzichtet, denn das Prinzip des Versatzstücks setzt ja durchaus einen gewissen Grad an Materialhomogenität voraus, wodurch es sich von der Collage unterscheidet.

Dass Kompositionsprinzipien auch am Computer erprobt und realisiert wurden, ist nicht nur deshalb vorteilhaft, weil die Schülerinnen und Schüler dort ihren alltäglichen Erfahrungshorizont einbringen konnten, sondern auch weil sich Finnendahls Arbeiten gerade am Spannungsverhältnis zur Technik entzünden.

Das gilt auch für die Komposition "Versatzstücke", bei dem Pianist und Tonband in einem Verhältnis zu einander stehen, das sowohl auf Konkurrenz als auch auf Abhängigkeit beruht. Finnendahl stellte zur Veranschaulichung dieses Verhältnisses seine Software vor, die live sampelt und das Gesampelte nach bestimmten, grafisch am Bildschirm nachvollziehbaren Regeln wieder zuspielt. Die Software gab den Schülern die Möglichkeit, dieses Verhältnis auch zu erkunden, indem sie ihre eigenen Kompositionsstudien live einspielten.

Im Dialog mit der Maschine entstand, nach anfänglichem Zögern, schließlich eine spielerische Situation, bei der sich die musizierenden Schüler der Konsequenzen ihres Tuns für den Verlauf des Stücks allmählich bewusst wurden und sie die technischen Voraussetzungen dieses Versuchaufbaus herausforderten.

Im Workshop am Waldshuter Hochrhein-Gymnasium wurde vor allem deutlich, dass ein Komponist, der theorielastige Artikel über Markow-Ketten und Fraktale veröffentlicht, durchaus auch auch einen anregenden Unterricht gestalten kann. Die Anschaulichkeit der fraktalen Geometrie und der spielerische Umgang mit der Maschine wirkten tatsächlich erhellend.

Man sollte außerdem nie die Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler unterschätzen, sich auch mit komplexeren Inhalten zu befassen, sofern diese Inhalte sinnvoll in einen musikalischen Zusammenhang integriert werden – was Finnendahl beispielhaft gelang.

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