Clara Iannotta | dead wasps in the jam-jar (iii)

Clara Iannotta

Über Komponistin und Werk

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Unterrichtsprojekt

von Matthias Handschick &
Anika Weyand

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Materialien

Arbeitsblätter und Weiterführendes

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Workshop Trossingen | Oktober 2022

Im Unterschied zur herkömmlichen Vorgangsweise bei der Konzeption eines neuen Abenteuer-Neue-Musik-Projekts durch einer:einen einzelnen Lehrer:in wurden diesmal in großen und kleinen Gruppen gearbeitet. Daran beteiligt waren alle Teilnehmenden des Abenteuer-Neue-Musik-Seminars im Rahmen der music academy Donaueschingen (Oktober 2022) in der Bundesakademie Trossingen. Ideen und Ergebnisse fanden Eingang in das Projekt, das Matthias Handschik und Anika Weyand mit einer 11. Klasse am Theodor-Heuss-Gymnasium in Sulzbach durchgeführt hat.


Werkeinführung von Egbert Hiller

,dead wasps in the jam-jar (iii)' ist aus der Idee geboren, die Tiefe zu erforschen“, bemerkte Clara Iannotta über das 2017 entstandene Werk für präpariertes Streichquartett und Sinuswellen, das sie 2018 noch einmal einer Revision unterzog. „Die Tiefe“ kann hier in doppelter Bedeutung verstanden werden – zum einen ist die Tiefe des Ozeans gemeint, die Tiefsee, die sich trotz moderner U-Boot-Technik dem menschlichen Zugriff bislang weitgehend verweigert, obwohl die Hinterlassenschaften der menschlichen Zivilisation, etwa Plastikmüll, auch bis zu ihr vordringen. Zum anderen ist die Tiefe des Klangs angesprochen, seine facettenreiche Vielschichtigkeit in sich, die Clara Iannotta bis zu den Wurzeln ergründet.

Auch wenn die Vorstellung von der Tiefsee und deren geheimnisvoller Tierwelt Bilder und Assoziationen stimuliert und freisetzt, von tonmalerischen Ambitionen ist Clara Iannotta weit entfernt. Die Tiefsee ist vielmehr eine Allusion, eine Reflexion, auch eine Projektionsfläche für ein Klangabenteuer von hoher innerer Intensität. Schroffe, spröde, knarzende und knurrende Geräusche könnten zwar realen oder irrealen Unterwassergeschöpfen abgelauscht sein; sie konstituieren aber ein abstraktes experimentell ausgeforschtes Geflecht, das ebenso als reiner Klang funktioniert. Eingespielte (obertonfreie) Sinuswellen verschmelzen mit diesem Kosmos, der sich wellenartig aufhellt und wieder verdunkelt – als würden jene Tierchen aus der Tiefsee ihre Kreise ziehen, die mit speziellen Organen, in Ermangelung von einfallendem Sonnenlicht, ihr eigenes Licht erzeugen. Metaphorisch symbolisiert die Tiefsee auch das Unbewusste in uns selbst, die Gratwanderung zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Angst und Hoffen, zwischen Resignation und Utopie.


Reibe-, Schürf- und Kratzgeräusche

Zur Klangmodifikation sind die Streichinstrumente präpariert, wofür Clara Iannotta neben Metall- und Holzdämpfern Büroklammern einsetzt, die auf den Saiten, zwischen Griffbrett und Steg, platziert sind und sie erheblich verkürzen. Die rechte Hand führt den Bogen mit unterschiedlichem Druck zwischen den Klammern, während die linke Hand Flageolett-Glissandi spielt. Diese verfremdeten Glissandi wiederum sind indirekt auf eine weitere Inspirationsquelle für das Stück bezogen: auf die Courante und ihr Double aus Johann Sebastian Bachs "Partita Nr. 1" für Violine solo in h-Moll BWV 1002. „Bei meiner Analyse habe ich festgestellt“, so erläutert Clara Iannotta, „dass Bach die Räume zwischen den springenden Sechzehntelkaskaden der Courante im Double durch glissandoartige Verzierungen füllt. In meinem dreiteiligen Zyklus "dead wasps in the jam-jar" mache ich es mir zur Aufgabe, die Sprünge und Glissandi in ein und denselben Klang einzufassen.“

In diesem Kontext wird die Vorstellung von der Tiefsee vom Weiterdenken eines konkreten musikalischen Bezugspunkts aus der Tradition flankiert, obgleich die Anspielung an jene Courante, zumal in "dead wasps in the jam-jar (iii)", ins Virtuelle aufgelöst ist. Dazu kommt als weiteres Moment noch der Titel, den Clara Iannotta einem Gedicht von Dorothy Molloy entnahm – und der, da er nun mal ausgewählt wurde, auch wörtlich genommen werden darf: „Tote Wespen im Marmeladenglas“. Ob Mikro- oder Makrokosmos, ob die Komponistin imaginäre Mikrofone in die Tiefsee richtet oder im Inneren eines Marmeladenglases anbringt, das klangliche Ergebnis könnte ähnlich sein.

Jedenfalls ließe sich in die aus der Stille hervorgehenden stockend fließenden Reibe-, Schürf- und Kratzgeräusche auch das stark verstärkte Saugen und Schlürfen von Wespen an der geliebten Marmelade hineindeuten. Und dann bricht latente Panik aus, als wäre der Deckel geschlossen worden, wodurch die Luft im Glas knapp wird. Am Ende in einer Art Coda, fast im verklärenden Charakter eines extrem komprimierten „Requiems“, hauchen die Wespen in gedehnten Haltetönen ihr Leben aus.

Ob Wespen, Tiefsee oder andere Bilder und Assoziationen, Clara Iannottas Musik ist offen und beflügelt die produktive Fantasie – wenn die einzelnen Instrumente in sachten Zickzack-Kursen ihre Bahnen ziehen, verschmelzen und doch ihre eigene Identität behaupten (wollen), wenn der musikalische Raum schleichend expandiert und wieder gestaucht wird, und aus Kulminationspunkten Klangspuren wie Kondensstreifen entweichen, um sich im Nirwana des Unbewussten oder eben der Tiefsee zu verflüchtigen.

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